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2015, das Jahr der Neocon-Militaristen: droht eine globale Finanzkrise und Krieg?
3. Januar 2015
(2015 : the year of neocon militarists: facing a global financial crisis and war?)

Von Prof. Rodrigue Tremblay (*)

Militaristische Neokonservative, kurz Neocons [1], haben heutzutage die beinahe vollständige Kontrolle über die amerikanische Regierung inne, ganz egal wer der jeweilige US-Präsident ist. Sie lenken die US-Politik im Außenministerium, im Pentagon, im Finanzministerium und bei der Federal Reserve, also der Zentralbank. Sie sind damit in der Lage, auf die amerikanische Außenpolitik, Militärpolitik, Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Geldpolitik Einfluss zu nehmen und diese nach ihrem Willen zu gestalten.

Die Neocons kamen erstmals unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan (1981-1989) zum Zug, der eine von ihnen inspirierte „Außenpolitik des Muskelspiels“ einschlug, die auf militärischen Interventionen im Ausland, permanenter Kriegsführung, willkürlichen Regimewechseln und der Forderung nach einer imperialen Weltherrschaft [2] auf allen jenen Gebieten beruhte, welche amerikanische Interessen und jene der engeren Verbündeten berühren. Unter der Präsidentschaft von George H. Bush (1989-1993) wurde der Einfluss der Neocons etwas zurückgedrängt und sie galten eine Zeitlang als die „Verrückten im Keller“, was aber ihren neuerlichen Aufstieg innerhalb der amerikanischen Regierung unter der Präsidentschaft von Bill Clinton (1993-2001) nicht verhinderte: mit dem von den USA geführten Kosovo-Krieg und der unverantwortlichen Aufhebung der Finanzregulierungsgesetze aus den 1930er-Jahren, die unter der Bezeichnung Glass-Steagall Act [3] bekannt sind, wurde damals ein Weg eingeschlagen, der letztendlich zur weltweiten Finanzkrise des Jahres 2008 führte.

Den größten Erfolg landeten die Neocons jedoch unter der Regierung von George W. Bush und Dick Cheney (2001-2009), als sie letzteren im Jahr 2003 dazu motivieren konnten, die (illegale) Invasion im Irak unter der Führung der USA vorzunehmen, die zu einem Krieg führte, der bis heute, zwölf Jahre danach, andauert und an Umfang sogar noch zunimmt. Die Neocons entwarfen die sogenannte „Bush-Doktrin“ [4], welche (illegale) Präventivkriege und erzwungene politische Regimewechsel in anderen Ländern gutheißt.

Diese Doktrin war von den Neocons schon von langer Hand vorbereitet worden, zuerst von Paul Wolfowitz, als dieser stellvertretender Verteidigungsminister in der George H. Bush-Regierung (1989-1993) war, auch wenn Präsident Bush diese Doktrin später öffentlich in Abrede stellen sollte, und wurde ferner in verschiedenen Essays propagiert, welche von einer von William Kristol [6] und Robert Kagan [7] gegründeten neokonservativen Denkfabrik namens „The Project for the New American Century“ (PNAC) [5] veröffentlicht wurden.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 traten die kriegslüsternen Neocons mit der Parole auf, dass es keine „Friedensdividende“ [8] für die amerikanischen Steuerzahler geben dürfe, sondern vielmehr die Vereinigten Staaten die Gelegenheit ergreifen müssten, zur einzigen militärischen Supermacht der Welt zu werden und daher statt einer Verringerung der Militärausgaben diese vielmehr noch erhöhen müssten. Die Zielsetzung war die Errichtung eines militärischen New American Empire [9], das im 21. Jahrhundert diejenige Stelle einnehmen sollte, die das britischen Empire [10] im 19. Jahrhundert eingenommen hatte.

Es kam wie es kommen musste: nach den 11. September-Ereignissen und der Amtseinführung von George W. Bush im Weißen Haus im Jahr 2001, war Paul Wolfowitz [11], nunmehr stellvertretender US-Verteidigungsminister unter Donald Rumsfeld [12], in jener Position, die es ihm erlaubte, erhöhte Militärausgaben der USA zu fordern und für eine neue aggressive US-Außenpolitik [13] einzutreten. Besonders besorgniserregend war ein bereits im Jahr 2000 publiziertes Forderungspapier der PNAC, in dem unter dem Titel „Rebuilding America’s Defenses“ („Amerikas Verteidigung wiedererrichten“) die hintergründige These formuliert wurde, nur ein „neues Pearl Harbor“ [14] könne die amerikanische Bevölkerung dazu bewegen, diejenigen Änderungen in der Militär- und Verteidigungspolitik zu akzeptieren, welche von der neokonservativen Gruppe vorgeschlagen wurde. Paul Wolfowitz war ein Unterzeichner dieses Papiers. Im September 2001 war es dann soweit: das „neue Pearl Harbor“ kam – wohl nicht zufällig und jedenfalls nicht unwillkommen – in Form der Angriffe vom 11. September zustande.

Es folgten der Krieg gegen Afghanistan [15], wo die aus Saudi-Arabien und einigen anderen Ländern stammenden Terroristen des 11. September ausgebildet worden waren und der Krieg gegen den Irak [16], ein Land, das nicht einmal im entferntesten mit den Ereignissen des 11. September in Verbindung stand.

Heute, zu Beginn des Jahres 2015, besetzen die Neocons alle Schlüsselpositionen in der Regierung unter Barack Obama, und es ist daher wohl keine Überraschung, dass die US-Außenpolitik sich von derjeniger seines Vorgängers George W. Bush kaum unterscheidet. Die Neocons sorgen beständig für Provokationen, Auseinandersetzungen, Konflikte und Kriege. 2015 könnte somit das Jahr sein, in der einige der von ihnen entzündeten Brände sich zu richtigen Feuersbrünsten entwickeln.

Schauen wir uns einige dieser potentiellen Brandherde etwas näher an.

1.       Die Gefahr einer weiteren großen Finanz- und Wirtschaftskrise

Am 21. Juli 2010 unterzeichnete Präsident Obama eine bereits ziemlich verwässerte Version eines Wall Street-Reform- und Verbraucherschutzgesetzes (DoddFrank Wall Street Reform and Consumer Protection Act) [17], um der Korruption des Finanzsektors Herr zu werden, welche die Finanzkrise 2008 hervorgebracht hatte. Das neue Gesetz sollte Teile der von der Clinton-Regierung im Jahr 1999 aufgehobenen Bestimmungen der Finanzregulierungsgesetze aus dem Jahr 1933 (Glass-Steagall Act) wieder in Kraft setzen, um Megabanken und Versicherungsunternehmen davon abzuhalten, staatlich versicherte Einlagen dafür zu verwenden, durch riskante Wetten auf dem Derivatemarkt (Credit Default Swaps, Commodity Swaps, Collateralized-Debt Obligations und andere riskante derivative Finanzprodukte, etc.) eine Schuldenpyramide zu errichten.

Und was ist daraus geworden? Nur vier Jahre später, am 16. Dezember 2014, hatten Lobbyisten und Anwälte, die Vollzeit für die Megabanken arbeiteten, Präsident Obama so weit, dass er ein allerlei Rechtsmaterien beinhaltendes sogenanntes „Omnibus“-Gesetz [18] unterzeichnete, das als Haushaltsentwurf verkleidet war, aber nichtsdestotrotz gute 1,1 Billionen Dollar schwer wog; dieses Gesetz enthielt nämlich eine Bestimmung, welche die sogenannte Swaps-Pushout-Regel wieder außer Kraft setzte, die von den Banken, die über staatlich versicherte Einlagen verfügten, verlangt hatte, ihren spekulativen Derivatehandel nur mehr über nicht versicherte Tochtergesellschaften abzuwickeln, was die Möglichkeiten der Banken für derartige Geschäfte natürlich deutlich eingeschränkt hatte. Nunmehr, aufgrund des „Omnibus“-Gesetzes, dürfen sich die amerikanischen Megabanken wieder voll im Spekulationsgeschäft mit staatlich versicherten Einlagen engagieren. Wann dieses Finanzkartenhaus neuerlich zusammenstürzt, ist derzeit noch nicht abzusehen, aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass dies früher oder später der Fall sein wird, vor allem dann, wenn die Wirtschaft von einem schweren politischen oder wirtschaftlichen Schock getroffen wird.

Ich sehe darin ein Spiel mit dem Feuer seitens der Finanzinstitute und betrachte Obamas Kniefall vor den Megabanken als reinste politische Feigheit. Denn wenn es zu einem wirtschaftlichen Chaos kommt, werden sicherlich nicht die Megabanken, die ihre während der Finanzkrise des Jahres 2008 insolvent gewordenen forderungsbesicherten Wertpapiere mittlerweile wieder in frisch gedrucktes bares Geld umwandeln konnten, dafür geradestehen, sondern die einfachen Bürger.

Die US-Wirtschaft und viele andere Volkswirtschaften sind noch immer von den Folgen der Finanzkrise des Jahres 2008 gezeichnet, die durch korrumpierte Politiker und Banker aufgrund laxer oder einfach nicht vorhandener Kontrollregelungen und übermäßiger Spekulation verursacht wurde. Solche Volkswirtschaften sind anfällig und empfindlich gegenüber unvorhergesehenen finanziellen Schocks, weil in vielen Ländern das Verhältnis der Verschuldung zum Einkommen noch immer sehr hoch ist; dies gilt insbesondere für die USA, wo der Verschuldungsgrad kurz vor der Rezession 2008-09 einen Spitzenwert von 177 Prozent erreicht hat und heute noch immer bei 152 Prozent liegt. (In der Vergangenheit lag das Verhältnis der Verschuldung zum Einkommen deutlich unter 90 Prozent.) Ein plötzlicher Anstieg der Zinssätze könnte daher verheerende Folgen für viele Volkswirtschaften nach sich ziehen.

Zum einen schwankt die Europäische Union [19], die größte Volkswirtschaft der Welt, am Rande der Rezession und leidet unter den verschiedenen staatlich verordneten Sparprogrammen, unter einem überbewerteten Euro (was die Länder der Eurozone betrifft) und unter den Einbußen der Wirtschaft infolge des Russland-Ukraine-Konflikts. Für Europa ist das laufende Dezennium ein verlorenes Jahrzehnt mit hoher Arbeitslosigkeit, geringem Wirtschaftswachstum und schlechter werdenden sozialen Bedingungen. Und es ist noch kein Licht am Ende des Tunnels abzusehen…

Das Wachstum Chinas [20], der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt, verlangsamt sich ebenfalls sehr rasch infolge eines Überschusses an Produktionskapazität, schwachen weltweiten Nachfrage und der 25-prozentigen Aufwertung des chinesischen Renminbi seit 2004, welche zu einer Stagnation der Exporte beigetragen hat. Aufgrund des hohen Schuldenstandes der chinesischen Volkswirtschaft von 176 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist auch der Finanzsektor deutlich angeschlagen. Darüber hinaus ist die chinesische Wirtschaft strukturelle Veränderungen unterworfen, da die Politik der chinesische Regierung bestrebt ist, die Abhängigkeit des Landes von ausländischen Märkten zu reduzieren und anstelle eines exportorientierten Modells in Hinkunft mehr inländische Wachstumsquellen erschließen möchte.

Die US-Wirtschaft [21] wiederum ist nach wie vor schwach und kann nicht genügend neue Arbeitsplätze schaffen; selbst wenn es in den letzten Monaten zu einer leichten Erholung kam, ist die Erwerbsquote von 66,5 Prozent vor der Rezession 2008/09 auf heutige 62,7 Prozent zurückgegangen. Millionen von Amerikanern haben immer noch Teilzeitjobs anstelle von Vollzeit-Arbeitsplätze, während die Reallöhne der arbeitenden Bevölkerung stagnieren oder fallen – dies sind weitere Indikatoren, dass die Dinge derzeit nicht zum Besten stehen.

Da die US-Regierung aus eigenem keine Finanzpolitik und keine Industriepolitik zustandebringt, sah sich die Fed (Federal Reserve, also die Zentralbank), gezwungen, mit einer aggressiven Geldpolitik einzugreifen, wie sie es zuvor in ihrer Geschichte noch nie getan hatte. Die Fed hat ihre Kreditvergaben an die Banken seit 2008 vervierfacht, d.h. auf 4,5 Billionen Dollar erhöht, und verfolgt eine riskante Politik mit geringen Zinsraten bis hin zur Nullzinspolitik.

Dadurch hat die Fed eine gigantische Finanzspekulationsblase [22] erzeugt. Diese in geordneter Weise abzuwickeln wird keine leichte Aufgabe sein, zumal die US-Regierung in den kommenden zwei Jahren durch eine politische Pattsituation gelähmt sein wird, da die republikanische Mehrheit im Kongress den demokratischen Präsidenten an die Wand spielen und zu einer lahmen Ente machen kann, so dass es für die US-Regierung schwierig sein wird, auf eine neue Finanzkrise in geeigneter Weise zu reagieren.

Ein weiteres schlechtes Omen für die USA ist der Zusammenbruch der Geldumlaufgeschwindigkeit [23], die über die letzten beinahe 20 Jahre hin betrachtet auf einem historischen Tief angelangt ist, so wie es in den späten 1920er Jahren kurz vor Beginn der Weltwirtschaftskrise der Fall war. Dass sowohl der politische wie auch der Finanzsektor der USA alles andere als gesund sind, sollte für die kommenden Jahre Anlass zur Sorge sein.

2.       Die reale Gefahr eines Atomkrieges infolge der Wiederbelebung des Kalten Krieges mit Russland

Ein Spiel mit dem Feuer in Finanzfragen ist eine Sache, das Spiel mit dem Atomkrieg ist hingegen eine ganz andere Sache. Leider ist die von den Neokonservativen inspirierte US-Regierung heute in beide Agenden tief verstrickt.

Die US-Regierung hat sich seit vielen Jahren für eine aggressive geopolitische Kriegsführung gegen Russland eingesetzt, zunächst durch ihre Politik der geopolitischen und militärischen Einkreisung [24] Russlands, indem sie mit der Integration der Ukraine [25] die NATO-Erweiterung bis an dessen Grenzen vorangetrieben hat, und zweitens durch ihre Politik einer Wirtschaftskriegführung gegen Russland, um dessen Wirtschaft zu untergraben und in der Folge einen Regimewechsel herbeizuführen. Es ist ein Spiel mit äußerst riskanten Einsätzen.

Einige der sichtlich Wahnsinnigen unter den Neocons treten bereits offen für einen neuen Weltkrieg [26] ein, wobei natürlich Russland der präsumptive Gegner ist, da sie gegen dieses Land offenbar persönliche Animositäten haben. Das Schlimme dabei ist, das Präsident Barack Obama auf einige dieser Wahnsinnigen zu hören scheint.

Öl als geopolitisches Werkzeug

Der 50-prozentige Preissturz beim Ölpreis im Jahr 2014 kann als Teil eines weitangelegten von den USA geführten Wirtschaftskrieges [27] angesehen werden, der die russische Wirtschaft destabilisieren und einen Öl-Slump (Zusammenbruch) [28] provozieren soll, da ja 50 Prozent der russischen Staatseinnahmen bekanntlich aus seinen Exportverkäufe von Erdöl und Erdgas stammen. Die politischen Entscheidungsträger in Washington wollen in erster Linie die Lieferabhängigkeit zwischen Gazprom und EU aufbrechen, um Russland dadurch zu schwächen und eine Lieferkontrolle über die EU vermittels amerikanischer Verbündeter wie Saudi-Arabien und Katar zu erzielen.

Eine solcherart künstlich herbeigeführter Zusammenbruch des Ölpreises würde die auf Betreiben der USA Russland auferlegten wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen erweitern, welche das Büro des US-Finanzministeriums für Terrorismus und Finanzaufklärung (U.S. Treasury’s Office of Terrorism and Financial Intelligence) [29] entworfen hatte, eine Einrichtung, welche im Jahr 2004 auf Betreiben der AIPAC [30]
errichtet wurde. Daneben gab es auch noch andere Versuche der US-Regierung, die Abhängigkeit Europas von russischem Erdöl und Erdgas zu verringern.

Saudi-Arabien, das über Ölkapazitäten im Überschuss verfügt, diese kostengünstig abbauen kann und dadurch in der Lage ist, den internationalen Ölpreis zu manipulieren, hat sich im September 2014 plötzlich und ohne ersichtlichem Grund entschlossen, Rohöl zu stark ermäßigten Preisen zu verkaufen und seine Ölproduktion trotz rückläufiger weltweiter Ölnachfrage auf hohem Niveau zu erhalten.

Dies ist die genaue Umkehrung der Vorgangweise, die Saudi-Arabien und die OPEC-Länder im Herbst 1973 eingeschlagen hatte, als sie plötzlich den Ölpreis auf das Vierfache erhöhten und dadurch eine weltweite Rezession hervorriefen.

Die Strategie ist allerdings jener ähnlich, die Saudi-Arabien im Jahr 1986 ergriff, als es nach einer Vereinbarung mit der US-Regierung die Welt mit billigem Erdöl überschwemmte, was zum Zusammenbruch des internationalen Ölpreises auf unter 10 Dollar pro Barrel führte. Die seinerzeitige Zielsetzung war die Untergrabung der Wirtschaft der Sowjetunion und des Irak, deren damaligen Verbündeten; allerdings litten auch andere Länder wie etwa die kanadische Wirtschaft stark unter diesem Schachzug.

Auch dieses Mal scheint eine Übereinstimmung der Interessen der US-Regierung und denen des saudiarabischen Königreichs vorzuliegen. Aus Sicht der US-Regierung ist es das Hauptziel, den russischen und iranischen Energiesektor zu beeinträchtigen und die Finanzgebarung der russischen Regierung unter Präsident Wladimir Putin zu schädigen; gleichzeitig soll die saudiarabische Unterstützung im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) [31] im Irak und in Syrien gesichert werden.

Aus saudiarabischer Sicht unterstützt ein Kampf um den Weltölpreis seine regionalen und globalen Ziele in dreierlei Weise. Erstens versucht die saudiarabische Regierung bekanntlich, die Erdöl- und Erdgasförderung im gesamten Nahen Osten zu dominieren und sich den reichen europäischen Markt zu sichern, wodurch sie im Gegensatz zu Iran und Syrien steht. Zweitens möchte die saudiarabische Regierung Druck auf Russland ausüben, damit es seine Unterstützung für das syrische Assad-Regime beendet. Drittens möchte Saudiarabien Marktanteile zurückgewinnen, die es gegenüber teurerem Öl aus Ölschiefer und Teersand verloren hat. Durch die Absenkung der Ölpreis hofft Saudiarabien, konkurrierende solche Ölproduzenten aus dem Geschäft zu verdrängen, indem es deren Produktion unrentabel macht.

Allerdings würde ein solcher Schritt auch die US-Ölproduktion aus Ölschiefer in North Dakota stark beeinträchtigen und erdölproduzierende Staaten wie Texas könnten in eine Rezession verfallen, obwohl die US-Wirtschaft in Gesamtschau von billigerem Erdöl profitieren würde. Auch die Ölherstellung aus Teersand in Alberta (Kanada) würde darunter leiden, was zu einer Abwertung des kanadischen Dollars und möglicherweise zu einer kanadisches Rezession führen könnte. Die Schieferöl- und Teersand-Ölindustrie wären somit die ersten unschuldigen Opfer der von der US-Regierung und ihren Verbündeten im Nahen Osten verfolgten weitangelegten Geopolitik.

Da das Königreich Saudiarabien ein amerikanischer Satellitenstaat ist, ist es höchst unwahrscheinlich, dass ein Plan der Überschwemmung der Ölmärkte und der Herbeiführung eines dramatischen Ölpreisverfalls ohne stillschweigende, wenn nicht sogar offener Zustimmung seitens der US-Regierung zustandekam. Es kann daher wohl angenommen werden, dass eine Vereinbarung [32] in dieser Richtung anlässlich des Treffens zwischen US-Außenminister John Kerry und König Abdullah im September 2014 zustandekam.

Die Ukraine als geopolitisches Pfand

Was die Destabilisierung der Ukraine [33] als Nachbarland Russlands betrifft, so hat die stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland ziemlich deutlich bestätigt, dass die US-Regierung in den Sturz der legitimen gewählten ukrainischen Regierung im Februar 2014 tief involviert war, wobei es das deklarierte Ziel der USA war, eine amerikanische Marionettenregierung [34] in der Ukraine zu installieren. Das stellt eine Verhöhnung der Demokratie dar und zeigt auf, wie tief die US-Regierung in Machtpolitik im Ausland verstrickt ist und sich in aggressiver Weise in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischt.

Die von Präsident Barack Obama zur stellvertretenden Außenministerin ernannte Neokonservative Victoria Nuland hat öffentlich bestätigt, dass die US-Regierung hat 5 Milliarden Dollar investiert hat, um die Ukraine zu destabilisieren und einen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland herbeizuführen [35]. Man kommt unschwer zum Schluss, dass die ukrainische Krise eine Krise „made in Washington“ ist. Nulands bekannte beleidigende Bemerkung „Fuck the EU“ [36] ist ein weiteres Indiz dafür, dass die US-Regierung eine Krise mit Russland provozieren wollte, nicht um den Europäern zu helfen, sondern um seine eigenen klargesteckten imperialen Ziele zu verfolgen, was immer dies dem russischen Volk und den Europäern kosten würde.

Am meisten beunruhigend ist die Verantwortungslosigkeit, mit der das US-Repräsentantenhaus am 4. Dezember 2014 die sogenannte Resolution 758 [37] verabschiedete, die de facto einer Kriegserklärung an Russland gleichkommt; sie basiert auf falschen Voraussetzungen, verdrehten Fakten und falschen Anschuldigungen. Eine derart unverantwortliche Vorgangsweise zeigt deutlich, in welch schlechten Händen sich die Führung der Welt derzeit befindet.

Wenn sowjetischen Raketen auf Kuba [38], 90 Meilen vom US-Festland entfernt, 1962 für die US-Regierung inakzeptabel waren, wie sollen dann US-amerikanische Raketen in der Ukraine, direkt an der russischen Grenze, im Jahr 2015 für die russische Regierung akzeptabel sein? Wer sich ein wenig mit der Geschichte auseinandergesetzt hat, sollte darauf eine Antwort wissen.

Schlussfolgerung

Wenn die Weltpolitik im Jahr 2015 eine Wendung zum Schlechteren nehmen sollte, dann sollte die Welt auch wissen, wer der Schuldige ist. Manche glauben, dass das Weltgeschehen rein zufällig ist und keine Planung dahinter steht. Sie liegen damit falsch. Völlig falsch. Schlechtgeplante Politik oder vorsätzliche Missetaten einzelner Regierungen sowie Operationen unter falscher Flagge sind oft auslösend für geopolitische Krisen, seien es Finanzkrisen, Wirtschaftskrisen oder militärische Krisen. So kommt es manchmal auch vor, dass die „Verrückten im Keller“ für Krisen ausschlaggebend sind.

Es wird hingegen langsam auch für die uninformierten oder falschunterrichteten Menschen unter uns immer klarer, dass das Wiederaufleben des Kalten Krieges und die Konfrontation mit Russland von Washington aus gelenkt wird und dass nicht Russland der Aggressor war (wie es die offizielle Propaganda und glauben machen möchte), sondern dass Russland vielmehr auf eine ganze Reihe von US-gelenkten Provokationen lediglich reagiert hat.

Warum gab es so viele destabilisierende Interventionen der US-Regierung auf der ganzen Welt und wer profitiert von dieser künstlich verursachten Instabilität am meisten? Das ist eine gute Frage, die einfache amerikanische Bürger sich fragen sollten.

Auf nationaler Ebene wäre in den USA zu hinterfragen, ob die US-Wirtschaft weiterhin von Bankern geführt werden sollte. Auf internationaler Ebene wäre die Frage zu stellen, ob die US-Regierung ihre Politik weiterverfolgen soll, die russische Regierung bewusst in die Enge zu treiben und Maßnahmen zu ergreifen, um die russische Wirtschaft zu zerstören. Das sind im Grunde Kriegshandlungen. Sind einfache amerikanische Bürger mit dieser Politik einverstanden? Wer wird am meisten profitieren und wer am meisten verlieren, wenn es zu einem nuklearen Krieg mit Russland kommt? Da die Europäer an der vordersten Front eines solchen Konflikts stehen würden, ist das eine Frage, die auch in Europa zu beantworten ist.
Was die Welt heute dringend benötigt, ist ein rechtstaatlich organisiertes internationalen Umfeld und keinesfalls ein chauvinistisches Ein-Welt-Imperium, das ausschließlich auf seine Eigeninteressen achtet.

Noch grundsätzlicher formuliert, sollte man die falschen Ideologie des Zusammenstoßes zwischen den Nationen (clash between nations) ablehnen. Sie ist ein schwerer und gefährlicher Trugschluss, der die Welt in eine Katastrophe stürzen könnte.

__________
*) Rodrigue Tremblay (geb. am 13. Oktober 1939), 1976-79 kanadischer Industrie- und Handelsminister, emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften der Universität von Montreal, spezialisiert auf Makroökonomie, internationalen Handel und Finanzen sowie öffentliche Finanzen. Professor Tremblay ist Autor mehrerer Bücher über Wirtschaft und Politik, darunter The New American Empire (2003) und The Code for Global Ethics (2010).

Anmerkungen:
[9] s. Fußnoten [2] und [3]
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